Sachverständigenrat legt Bundeskanzler Jahresgutachten vor

Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auch bekannt als „Wirtschaftsweisen“, ist ein Gremium aus Wirtschaftsexpertinnen und Wirtschaftsexperten, das die Aufgabe hat, aus unabhängiger Sicht eine periodische Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen. Damit trägt der Sachverständigenrat maßgeblich zur Entscheidungsfindung unserer politischen Verantwortlichen aber auch zur Urteilsfindung der Öffentlichkeit bei.

Das Gutachten mit dem Titel „Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren“ (LINK)“ wurde am gestrigen Mittwoch vorgestellt und beschäftigt sich einerseits mit den aktuellen Herausforderungen, vor denen die deutsche Volkswirtschaft steht, aber auch damit, welche Weichen heute gestellt werden müssen, damit die deutsche Volkswirtschaft auch in Zukunft wettbewerbsfähig und robust bleibt.

Wir möchten Ihnen nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse der diesjährigen Begutachtung zusammenfassen und einordnen.

 

Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich weiterhin in der Stagnation

In den vergangenen fünf Jahren ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lediglich um 0,1 Prozent gewachsen. Für das laufende Jahr wird ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr erwartet, während für das Jahr 2025 ein Wachstum von 0,4 Prozent prognostiziert wird. Damit korrigiert der Sachverständigenrat seine Prognose aus dem Vorjahr, die noch von einem Wirtschaftswachstum von 0,9 Prozent im Jahr 2025 ausging.

 

Die deutsche Volkswirtschaft wird von einer Viezahl von Problemen ausgebremst

Der Sachverständigenrat stellt fest, dass es in Deutschland in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wirtschaftspolitische und strukturelle Versäumnisse gegeben hat, die nun ihre Wirkung zeigen. Diese Versäumnisse betreffen nicht nur einzelne Teilbereiche, sondern nahezu alle Bereiche der deutschen Volkswirtschaft: Sie reichen von einem überholten Steuersystem, zu geringen Arbeitsanreizen, mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, einer maroden Infrastruktur bis hin zu einem veralteten Bildungssystem.

 

Die Inflation geht deutlich zurück

Immerhin: die Sachverständigen stellen fest, dass die Inflation deutlich sinkt und sich dem 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank (EZB) annähert. Im Jahr 2024 dürfte demnach die durchschnittliche Inflationsrate 2,2 Prozent betragen. Für das Jahr 2025 rechnen die Expertinnen und Experten mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von 2,1 Prozent.

 

Arbeitsmarkt stagniert – Konsum schwächelt

Die Schwächephase der deutschen Wirtschaft erreicht außerdem zunehmend den Arbeitsmarkt. Das Wachstum der Erwerbstätigkeit ist nahezu zum Erliegen gekommen und die Arbeitslosenquote ist seit August 2023 um 0,3 Prozentpunkte angestiegen.

Trotz der deutlichen Reallohnsteigerungen im laufenden Jahr haben die privaten Haushalte ihre Konsumausgaben noch nicht wieder erhöht. Die hohe Unsicherheit über die weitere konjunkturelle Entwicklung und eine Verlangsamung des Reallohnzuwachses dürften dazu führen, dass von der Konsumnachfrage auch im Prognosezeitraum nur schwache Wachstumsimpulse ausgehen.

 

Der Dienstleistungssektor als Stütze der deutschen Volkswirtschaft

Der Dienstleistungssektor, in dem das gewerbliche Geldspiel angesiedelt ist, zeigt sich nach wie vor robust und stützt die Konjunktur. Dies liegt vor allem daran, dass der Dienstleistungssektor mittlerweile einen höheren Anteil an der Wirtschaftsleistung hat und weniger stark von globalen Engpässen und Krisen betroffen ist.  Allerdings zeigt sich, dass sich die schwierige gesamtwirtschaftliche Lage zunehmend negativ auf Teilbereiche dieses Sektors auswirkt. Zu nennen sind hier insbesondere

  • die Konsumzurückhaltung der Bevölkerung,
  • der weiter steigende Kosten- und Preisdruck (im Dienstleistungsbereich liegt die Inflationsrate bei 3,9 Prozent und damit deutlich über der durchschnittlichen Inflationsrate),
  • der Fach- und Arbeitskräftemangel sowie
  • die Belastungen durch eine überbordende Bürokratie.

 

Modernisierung des Landes jetzt entschlossen vorantreiben

Der Sachverständigenrat schlägt in seinem aktuellen Gutachten eine Reihe von Maßnahmen vor, die von der zukünftigen Bundesregierung ergriffen werden sollten, damit die deutsche Volkswirtschaft nicht den Anschluss verliert.

  • Erstens müssen zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben besser priorisiert und verbindlicher festgelegt werden. Die Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Verteidigung sind im internationalen Vergleich gering. In diesen Bereichen sind in den letzten Jahren deutliche Defizite entstanden.
  • Zweitens ist im Verkehrsbereich eine Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur und darüber hinaus eine Dekarbonisierung des Güterverkehrs notwendig.

  • Drittens hinkt Deutschland bei der Digitalisierung des Finanzsystems hinterher und verschenkt damit Innovations- und Effizienzpotenziale.

  • Viertens ist der Wohnungsmarkt vor allem in Ballungsräumen angespannt. Dies erschwert insbesondere den Zuzug von Arbeitskräften in diese produktiven Regionen.

 

Einordnung

Auch wenn der Dienstleistungssektor im Vergleich zu anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft einen robusten Eindruck macht, sind die Herausforderungen der Zukunft für diesen Sektor nicht minder groß. Der Arbeitskräftemangel bleibt ein gravierendes Problem, die Unternehmerinnen und Unternehmer sehen sich mit einer zunehmend erdrückenden Bürokratie konfrontiert und der anhaltende Kosten- und Preisdruck durch Inflation sowie hohe Steuern und Abgaben belasten die Stabilität des deutschen Mittelstandes.

Die Grenze des Leistbaren ist erreicht. Die Politik ist mehr denn je gefordert und in der Verantwortung, Maßnahmen zu ergreifen, um den Mittelstand zu entlasten, Wachstum und Stabilität zu fördern und den Weg in eine wirtschaftlich aussichtsreichere Zukunft zu ebnen, als dies derzeit der Fall ist.

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